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Wie wird man eigentlich Schiedsrichter?
Wie wird man eigentlich Schiedsrichter?
Sebastian Gishamer (31) ist internationaler Schiedsrichter. Mit 15 Jahren besuchte er den Schiedsrichter-Kurs und pfeift mittlerweile internationale Spiele. Für uns hat sich Sebastian Zeit genommen und Fragen rund um Werdegang, Konkurrenzkampf und Druck im Stadion beantwortet.

Sebastian, wie wird man eigentlich Schiedsrichter?

Da gibt es viele Wege, bei mir war es – im Nachhinein betrachtet – völlig unerwartet. Bis ich 15 Jahre war, habe ich in meiner Heimat Bürmoos im Fußballverein gekickt. Ich war zugegebenermaßen nicht der begnadetste Fußballer, das hat mir im Nachhinein aber geholfen (lacht). Meine Eltern, die auch im Fußballverein tätig waren, schlugen mir damals vor, den Schiedsrichterkurs zu machen und ich habe es einfach probiert. Es gibt aber auch Schiedsrichter, die noch mit 60 den Kurs starten.

Ist es normal, dass man schon mit 15 Jahren den Kurs macht oder warst du so etwas wie ein Wunderkind?

Nein, Wunderkind bin ich definitiv keines. Obwohl es damals noch seltener war als heute, so früh zu beginnen. Wer sich für diese Tätigkeit interessiert und daraus eine Karriere machen will, sollte im Idealfall jung starten. Das hat vor allem einen Hintergrund: Um Schiedsrichter zu sein, muss oder darf man alle Ligen durchmachen. Weil es viele gibt, dauert diese Ausbildung dementsprechend lange. Wer das Schiedsrichtern als Hobby sieht, braucht sich natürlich keinen Stress machen.

Du bist also am Rasen geblieben und hast einfach Rollen gewechselt. Sind ehemalige Fußballer bessere Schiedsrichter?

Viele Schiedsrichter waren vorher Fußballer. Das ist für die Tätigkeit selbst hilfreich. Ich kann mich besser in Situationen einfühlen, die ich bewerten muss. Fragen wie „Hat der Spieler das jetzt absichtlich gemacht oder war es ein Unfall?“ fallen mir mit meiner Erfahrung leichter, zu beurteilen. Es gibt aber genügend Schiedsrichter, die selbst nie gespielt haben oder schlecht spielen. Ich bin der Meinung, dass man einen Vorteil hat, wenn man vorher im Verein war oder wo anders selbst gespielt hat. Die meisten ehemaligen Fußballer waren in dieser Rolle nicht besonders erfolgreich, sonst wären sie nicht Schiedsrichter geworden (lacht).

Du pfeifst mittlerweile Spiele mit mehreren tausenden Zuschauern. Wie gehst du mit dem Druck um, bei wichtigen Spielen die richtigen Entscheidungen zu treffen?

Für mich ist ein nützlicher Zugang der, dass ich alle Spiele gleich wichtig finde. Ob ich am Platz in Koppl oder irgendwo in Ungarn stehe, macht für die Spieler keinen Unterschied. Ein unterklassiger Spieler will gewinnen und die Stars aus Chelsea auch. Deswegen gehe ich in jedes Spiel mit der gleichen Motivation und Ernsthaftigkeit hinein, bereite mich entsprechend vor und konzentriere mich währenddessen.

Stichwort „Vorbereitung“: Wie darf man sich das vorstellen?

Ich informiere mich zuerst über die Tabellensituation, die letzten Spiele. Ich beschäftige mich mit den unterschiedlichen Spielercharakteren, analysiere ihre Spielweise und die Aufgaben innerhalb der Mannschaft, um mich bestmöglich auf das Spiel einstellen zu können. Ich möchte als Schiedsrichter möglichst wenige Überraschungen erleben, da gehört es auch dazu, sich die Spieltaktiken der einzelnen Mannschaften anzusehen. Wenn es sich z. B. um Meisterschaften handelt, dauert die Vorbereitung dementsprechend länger.

Gibt es eigentlich Konkurrenz unter Schiedsrichtern – genauso wie unter Fußballern?

Als Schiedsrichter bin ich auch immer auf meine Assistenten an der Linie angewiesen. Ohne ihre Unterstützung kann ich nicht erfolgreich sein. Grundsätzlich gibt es Fehler, die Zuschauern nicht auffallen und Fehler, die so frappant sind, dass jeder sie bemerkt. Je harmonischer ich als Schiedsrichter mit meinen Assistenten agiere, desto geringer wird die Fehlerquote sein. ABER: Letztlich bin ich in der Mitte auf mich alleine gestellt. Die Entscheidung treffe ich trotz Unterstützung selbst. Die Einteilung, welcher Schiedsrichter mit welchen Assistenten arbeitet, wird von einer unabhängigen Person getroffen. Man sucht sich sein Team also nicht selbst aus. Deswegen ist es wünschenswert, wenn man mit guten Leuten arbeitet. Irgendwie sind wir Einzelsportler und dann auch wieder nicht. Konkurrenzdruck im eigentlichen Sinn, gibt es meiner Meinung nach nicht so stark, denn seine Leistung muss jeder selbst bringen.

Bist du vor internationalen Spielen manchmal nervös? Oder hast du Angst, Fehler zu machen oder dass dich die Fans ausschimpfen?

International ist der Leistungsdruck natürlich sehr hoch, es geht um viel. Wenn ich nicht performe, kann es mir passieren, dass ich absteige. Das ist der Grund, warum ich mich zu 100 % konzentrieren muss, egal ob 10.000 Zuschauer im Stadion sind oder ein Geisterspiel stattfindet. Ich gehe immer mit dem notwendigen Ernst an die Sache heran. Und trotzdem sitze ich manchmal nach dem Spiel in der Kabine und denke darüber nach, ob ich alles richtig gemacht habe oder ob ich etwas hätte besser machen können. 

Wann hast du alles richtig gemacht?

Um das zu beurteilen, gibt es zwei Ebenen. Die Beurteilung von außen und meine eigene. Bei der Ebene von außen gibt von der UEFA eine Vorgabe, was den Spielbetrieb bei Schiedsrichtern betrifft. In der ersten und zweiten Bundesliga sowie in der Regionalliga wird jedes Spiel von einem ehemaligen Schiedsrichter beobachtet und im Anschluss bewertet. Das läuft so ab: Kurz vor dem Spiel kommt der Beobachter zu mir in die Kabine, wir reden kurz, nach dem Abpfiff kommt er wieder und gibt mir Feedback. Zusätzlich verfasst er einen Bericht, in dem Kriterien wie Persönlichkeit, Regelkonformität oder Einsatz aufgelistet sind. Dieser Bericht wird an die Entscheidungsgremien und auch mir zugesendet. Am Anfang ist das natürlich sehr aufregend, wenn man weiß, dass man beurteilt wird. Mit der Zeit habe ich aber vergessen, dass da jemand im Publikum sitzt, der mir genau auf die Finger schaut.

Und deine eigene Beurteilung?

Der beste Schiedsrichter ist der, der nicht auffällt. Das stimmt meistens. Wer unauffällig pfeift, hat entweder keine schwierigen Entscheidungen oder hat diese so gut gelöst, dass es keine Einwände geben kann. Wenn mir das in einem Spiel gelingt, bin ich zufrieden.

Ganz andere Frage: Du rennst ja permanent am Spielfeld herum. Wie hältst du dich fit?

Wir haben einen Stützpunkt in Salzburg, an dem wir zwei- bis dreimal die Woche trainieren. Zusätzlich arbeite ich an Kondition, Kraft und Stabilität, aber auch ganz viel an Koordination. Dazu kommen ein bis zwei Spieleinsätze am Wochenende.

Das klingt nach viel Aufwand für die eigene Instandhaltung. Ist Schiedsrichter eigentlich ein Vollzeitjob oder ein Hobby?

Als Vollzeitjob kann man nicht pfeifen, alleine schon deswegen, weil es eine sehr leistungsabhängige Arbeit ist. Mache ich einen Fehler, kann es sein, dass ich die nächsten zwei Wochen nicht eingesetzt werde. Das ist einerseits positiv, weil es einen gewissen Ansporn gibt. Andererseits ist es ein sehr unsicheres Einkommen. Als Schiedsrichter arbeiten wir auf Honorarbasis und werden pro Einsatz bezahlt. Es gehört aber viel dazu: Anreise und Abreise zum Spiel, die Trainings, viele Ausbildungen, die regelmäßigen Einsätze und die stundenlangen Vorbereitungen auf die Spiele. Im Hintergrund passiert sehr viel, was Zuschauer nicht wahrnehmen (können). Davon leben könnte ich nicht, aber das muss ich auch nicht, für mich ist es einfach ein perfektes Hobby.

Wann hört der Schiedsrichter auf zu pfeifen? Gibt es ein natürliches Ablaufdatum?

Ich pfeife, solange es mir Spaß macht. Ich habe mir vorgenommen, dann aufzuhören, wenn ich zu einem Spiel fahre und nicht mehr diese angenehme Anspannung spüre oder ich mir denke, dass ich eigentlich gerade keine Lust darauf habe. Wer über diesen Punkt hinaus weitermacht, tut sich selbst und den Mannschaften nichts Gutes. In den letzten Jahren hat sich so viel getan, Fußball ist um einiges dynamischer geworden, vom Finanziellen innerhalb des Fußballs ganz zu schweigen. Früher galt, dass man als Schiedsrichter mit 45 Jahren die Pfeife an den Nagel hängt. Ich glaube nicht, dass ich es so lange machen werde. Aber, wer weiß!? Es wird nicht leichter, das Fitness- und das allgemeine Level zu halten. Wenn man das Gefühl hat, dass Spiele zu einer Belastung werden, muss man es lassen. Dann bringt man die Leistung nicht mehr.

Letzte Frage: Was war das aufregendste Spiel, das du je gepfiffen hast?

Schwierige Frage. Es gibt nicht das aufregendste Spiel, aber es gibt viele Spiele, an die ich mich gerne erinnere. Da wären zum Beispiel internationale Spiele, bei denen ich den einen oder anderen Spielern die Hand geschüttelt habe. Aber grundsätzlich ist jedes Spiel mit einer gewissen Aufregung verbunden.

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